Teaser Unterwegs
von unterwegs



Nach der Regenzeit

Namibia, 24.03.2010. Nach langer Vorbereitung und um Monate später als geplant landen wir in Windhoek. Die Luft ist heiß, riecht nach Pfeffer, die große Regenzeit gerade vorüber. Die BMW F800 GS wartet bereits, unversehrt, im Cargogebäude. Auspacken, umpacken, sortieren, Gewicht reduzieren, ein Basislager für momentan nicht benötigtes Equipment und Motorradersatzteile finden, beschäftigt uns die nächsten Tage.

Namibia ist endlose Weite, traumhafte Landschaft, wilde Natur, ist eingezäuntes Land. Reisen im eingezäunten Land, sich bewegen zwischen Stacheldraht und Electric Fences, eingesperrt oder ausgesperrt, ein Leben vor dem Zaun oder hinter dem Zaun. Die Pisten verlassen und wild campen ohne Hausfriedensbruch zu begehen ist fast unmöglich. Zäune in allen Variationen: Holz mit und ohne Draht mit und ohne Stacheln, doppelt über und hintereinander, in der Stadt electric Fences, Videoüberwachung, Bewegungsmelder, Watchmen, Armed Response und blutrünstige Hunde, vergitterte Fenstern. Kein Quadratzentimeter der nicht eingezäunt ist. Treffend beschreibt der Satz eines deutschen, während der Apartheit nach Südafrika ausgewanderten Kapitäns der "Deutschen Afrika-Linie" die schwarz-weiße Misere: "Früher haben wir SIE eingesperrt, heute müssen wir UNS vor IHNEN einsperren".

Unser Ziel ist der Norden, Lebensraum der Himba und San. Infrastrukturell unterentwickelt erstreckt er sich von der Westküste bis zur Ostgrenze nach Botswana. Schotter, Wellblech, sandige und felsige Strecken, zwischen unseren Arbeitsgebieten liegen oft große Entfernungen.
Die Welt der Himba steht auf vier Beinen und hat Hörner, das Universum der Himba dreht sich um die Kuh. Wie Sterne um die Erde kreisen, drehen sich die Gedanken der Himba um die Kuh. Sie versorgt sie mit Milch und das ist fast alles, was sie zum Leben brauchen, Milch und Milipap. Der Rest kommt mit den Strömen internationaler Touristen, die durch ihren Lebensraum geschleust werden. Stolz sind sie und selbstbewusst; und trotz ihrer riesigen Herden (viele von ihnen sind Rindermillionäre), gleichzeitig Meister im Betteln; vielleicht ist fordern das bessere Wort, oder in Zeiten der New Ecconomy "vermarkten". Es ist diese anspruchslose Genügsamkeit die ihnen das autonome Überleben, den Erhalt ihrer Tradition und frei gewählten Lebensform bis in die heutige Zeit gesichert hat.

Wir haben das seltene Glück, die Beerdigungszeremonie eines großen Himba-Chiefs fotografieren und filmen zu dürfen, ein Ereignis, das normalerweise nur im Kreis der Angehörigen der Himba-Kultur zelebriert wird. Nach zwei Tagen im Nowhere müssen dringend meine Akkus geladen werden. Die digitale Aufnahmetechnik ist gierig nach Energie. Eine zweite Motorradbatterie ist nicht Kraftwerk genug, um die Stromversorgung unserer Foto- und Filmausrüstung ständig zu garantieren.Die Reservebatterie bereits fast aufgebraucht, ergibt sich die Möglichkeit, an einer Autobatterie zu laden! Unglücklicherweise startete der Besitzer des Wagens plötzlich und ohne Vorankündigung den Motor, das Ladegerät ist im Bruchteil einer Sekunde, trotz doppelter Sicherung, zerstört. Und weit und breit keine Aussicht auf Magie, ein Wunder oder wenigstens auf eine Reparatur. Eine in Windhoek von einem deutschen Elektroniker gebaute Konstruktion sieht nun vor, das mobile Kraftwerk Motorrad mittels unserer Soplarpanels mit Sonnenenergie zu unterstützen, ist jedoch äussŸerst zeitaufwendig.
Die Zeit! Unsere Film- und Fotoarbeiten benötigen unerwartet viel Zeit. Der Reisealltag ist das tägliche Ringen mit der Zeit, oft bleibt wenig Raum für Entspannung und Leichtigkeit.
Der Motorradfahrer genießt die Sympathie der Menschen, da er schutzlos der Natur ausgesetzt ist. Diese Verletzbarkeit wird oft mit Hilfsbereitschaft belohnt, kann ihn jedoch auch zum leichten Opfer machen. Das Motorrad, im Vergleich zu einem PKW als Transportmittel, bietet große Vorteile, birgt aber auch bezüglich des Komforts Nachteile in sich. Komfort hinsichtlich der eingeschränkten Möglichkeiten, die Foto- und die umfangreiche Filmausrüstung sicher zu transportieren. Drei Filmkamerasysteme incl. 2 Stative, ein Laptop, 8 externe Festplatten, diverse Netzteile, Ladegeräte, Solarpanels, Karten-Lesegeräte etc., gilt es vor Feuchtigkeit und Sand, vor Vibrationen und harten Erschütterungen zu schützen, vor Diebstahl – der größten Gefahr!
Unser abgelaufenes Visum zwingt uns zur Ausreise.

Cape Town – man sagt eine der schönsten Städte der Welt. Regen, Feuchtigkeit hängt in der Luft und klebt in der Kleidung; es ist kalt. Ein sonniger Tag vermag all das Wasser, die Kälte in den Knochen nicht aufzusaugen. Im 3.500 Kilometer entfernten Nordnamibia bereitet die selbe Sonne das Land auf den bevorstehenden, trockenen und heißen Winter vor. Die Zeit ist gut gewählt, die gerade zu Ende gegangene Fussball-WM hat außer einem gigantischen Stadion und vielen, wie Seifenblasen zerplatze Hoffnungen wenig hinterlassen. Hier und da erinnern noch vergessene Reklametafeln an versprochene Träume. Über der Stadt und diesem Land hängt drohend, schwerer als die beindruckenden Wolkenformationen, die wie dicke Rauchschwaden über den Tisch-Rand des Tafelberges fallen, die unterschwellige Gefahr, ausgehend von der grassierenden Armut, einhergehend mit einer neuen Form des Rassismus; heute schwarz gegen schwarz, gegen coloured und gemeinsam gegen die weiße Minderheit. Mit Einbruch der Dunkelheit erlischt das Geschäftsleben, die Straße gehört nun den Autofahrern und Gangs.
Auch hier sind wir auf der Suche, finden Geschichten jeglicher Couleur. Jaques, ein weißer Südafrikaner, dessen Freundin Tracy vor einem Jahr in Johannesburg im eigenen Haus ermordet wurde – die Beute: ein Fernseher, ein CD-Player und einige CDs. Aaron, der junge Kenyaner, in Kapstadt gestrandet, erzählt von seiner Odysee um die halbe Welt auf der Flucht vor Armut und Kriminalität in Afrika. Peter Parker, alias Spiderman, ein Obdachloser Coloured, Autowäscher, Bettler und Geschichtenerzähler, zur gleichen Zeit auf Robin Island inhaftiert wie Nelson Mandela. Rois, der Straßenjunge mit dem goldenen N im Schneidezahn. "I´m not a nasty boy", das "N" ist die Ehrerbietung an den Vater der Nation, ist sein Held, steht für Nelson Mandela.
Nach einigen Wochen, länger als geplant, verlassen wir Capetown

Vor der Regenzeit
So sind wir nun nach acht Monaten film- und fototechnischen, Nerven zermürbenden Problemen; unerwarteten, unerklärlichen Defekten an Film- und Fotoausrüstung, Reparaturen und Modifikationen am Motorrad, sowie einer siebenwöchigen Warteschleife über Südafrika vor einigen Tagen wieder an unserem Ausgangspunkt Windhoek eingetroffen. Unser zweiter Reisepass hat uns eine erneute Einreise in das Land der Himba und San ermöglicht, um weiter an der ersten Phase des Projekts zu arbeiten. Journalistisches Denken verleiht jedem eine Vorstellung darüber, wie schwierig es ist über Menschen zu berichten, zuverlässige Informationen zu erhalten, zu recherchieren und dann doch anderes oder nichts vorzufinden. Oder angenehm überrascht werden. Landschaften hingegen, üben sich seit Jahrmillionen in Geduld, sind dort, wo sie auch gestern waren. Bisher fuhren wir 17.000 Kilometer. Die kommenden Monate werden schwierig, sind wir doch aus unserer Zeit, der geplanten Zeit gefallen, mitten hinein in die beginnende Regenzeit. Europäischen Ohren mag das Wort kühlendes Nass suggerieren, ins afrikanische übersetzt, steht es für Temperaturen weit über 40 Grad im Schatten und sintflutartige Regenfälle, Schatten den es dort nicht gibt. Nur aufgeweichte, unbefahrbare Schlammwege.
Aber noch stehen wir am Anfang der kleinen Regenzeit und freuen uns darauf, unsere Arbeit bei den Himba fortzusetzen und endlich das Leben der San kennenzulernen. Nach der Regenzeit ist vor der Regenzeit.

Im Frühjahr 2011 werden wir weiter Richtung Ostafrika fahren, die zweite Etappe unseres Projekts.